Messbrille vs. Phoropter

Nicht nur eine emotionale Abwägung

Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass die Entscheidung für das passende Refraktionsinstrument sehr oft emotional aufgeladen ist. Dabei gibt es sowohl gute Argumente für die Messbrille als auch für manuelle oder automatische Phoropter. Wir möchten gerne möglichst viele Kriterien nennen und beschreiben. Diese sollten dich dabei unterstützen das passende Refraktionstool zu wählen.

ein Mann bekommt eine Messbrille aufgesetzt

Um den Überblick über alle Argumente zu behalten, haben wir eine Entscheidungsmatrix entwickelt. Dort können alle Argumente gesammelt, bewertet und gewichtet werden. Sie finden die Matrix kostenlos zum Download: https://cloud.dao-ag.de/s/matrix/download

Jede Refraktionslösung wird darauf hin bewertet, wie gut das jeweilige erfüllt wird. Es können ein bis fünf Sterne vergeben werden. Erfüllt kein Tool das Kriterium, gibt es auch keine fünf Sterne bei dem Kriterium. Du kannst jedes Argument für alle drei Instrumente bewerten und damit deine ganz persönlichen Prioritäten setzen. Um den Überblick über alle Argumente zu behalten, haben wir eine Entscheidungsmatrix entwickelt. Dort können alle Argumente gesammelt, bewertet und gewichtet werden. Daraus ergibt sich eine Punktzahl für jedes Instrument und die Summe aller Punkte das Gesamtergebnis – Dein ganz persönlicher Favorit. Die Excel-Datei enthält drei Tabellenblätter mit der Entscheidungsmatrix, eine vom Autor ausgefüllte (die natürlich angepasst werden kann), eine mit den Kriterien dieses Artikels aber ohne Bewertung und eine komplett leere Matrix (für den, der sich bei der Entscheidung nicht beeinflussen lassen möchte).

Um viele Argumente zu sammeln, haben wir am 06.05.2020 zu einer offenen Diskussionsrunde eingeladen – natürlich als Videokonferenz. Einen Mitschnitt dieser Diskussion findest Du hier.

Kriterien des Kunden

Natürliche Kopf- und Körperhaltung: Klarer Pluspunkt aus Sicht des Kunden für die Messbrille und DAS Argument, das uns bei dem Thema sofort in den Sinn kommt. Es liegt auch auf der Hand: es ähnelt der Brille, deren Werte wir bestimmen wollen. Das ist auch aus Sicht des Kunden einleuchtend. Bei Menschen mit starken körperlichen Einschränkungen ist es sogar manchmal die einzige Möglichkeit eine Refraktion durchzuführen. Allerdings gibt es bei der Betrachtung der Refraktionsgenauigkeit einige Punkte, die wir uns dabei genauer anschauen müssen.

Infektionsschutz: Es gibt hier keine wirklich perfekte Lösung, wenn wir eine subjektive Refraktion machen wollen. Beim manuellen Phoropter als auch bei der Messbrille können wir die vorgeschriebenen 1,5 m Abstand zum Kunden nicht einhalten. Bei der kompletten Refraktion müssen wie näher an den Kunden, um Gläser zu wechseln oder Kreuzzylinder zu wenden. Aber auch der automatische Phoropter ist da nicht die 100 %-Lösung. Zumindest zum Vorschwenken des Phoropterkopfs und zur Kontrolle der Zentrierung müssen wir den Abstand unterschreiten. Danach können wir allerdings im sicheren Abstand die komplette Fernrefraktion durchführen.

Sozial verträgliche Entfernung: Das Sozialverhalten jedes Menschen ist unterschiedlich und auch kulturell geprägt. Es gibt sogar ein Fachgebiet der Psychologie und der Kommunikationswissenschaft, das sich mit dem Thema beschäftigt, die Proxemik. Dort werden diese Entfernungen beschrieben:

  • Intimdistanz (Partner/der Partnerin)
    • Nahe Phase – bis 15 cm
    • Weite Phase – 15 bis 46 cm
  • Persönliche Distanz (Familie und enge Freunde)
    • Nahe Phase – 46 bis 76 cm
    • Weite Phase – 76 bis 122 cm
  • Soziale Distanz (Sonstige Gesprächspartner)
    • Nahe Phase – 1,2 bis 2,1 m
    • Weite Phase – 2,1 bis 3,7 m
  • Öffentliche Distanz (Großes Publikum)
    • Nahe Phase – 3,7 bis 7,6 m
    • Weite Phase – ab 7,6 m

Die Wissenschaft sagt: Befindet sich eine fremde Person in der persönlichen Distanzzone einer anderen, wird dies als unangenehm empfunden werden. Das unerlaubte Eindringen in die intime Distanzzone wird praktisch immer als unerwünschte Grenzübertretung empfunden.

Es ist uns bestimmt nicht immer bewusst, aber mit dem manuellen Phoropter und mit der Messbrille sind wir zumindest im Bereich der persönlichen Distanz, wenn nicht sogar in der Intimdistanz und damit näher am Kunden als ihm vielleicht lieb ist. Der Kunde muss es akzeptieren, weil er eine neue Brille haben möchte – aber angenehm ist ihm das wahrscheinlich nicht. Dazu kommt noch, dass er uns aufgrund des kleineren Gesichtsfeldes durch das Messystem, nur peripher wahrnehmen kann. Gebührender Abstand ist ein klarer Pluspunkt für den automatischen Phoropter.

Modern: Das Empfinden ist wahrscheinlich sehr subjektiv, aber es wird bestimmt häufiger ein 10 Jahre alter automatischer Phoropter moderner eingeschätzt als eine neue Messbrille. Eben noch eine Messung mit einem Wellenfront Messgerät und grafischer Darstellung der Abbildungsfehler höherer Ordnung, dann in den Refraktionsraum und eine Messbrille auf die Nase, die gefühlt doch mehr in das letzte Jahrhundert gehört als in dieses. Ja, das ist vielleicht nur Marketing, aber das gehört auch zu unserem Business, ob es uns gefällt oder nicht.

Gesichtsfeldgröße: Hier mag die Messbrille im Vorteil sein, ob das aber von Relevanz für die Refraktion ist? Außerhalb vom Zentrum kommen die stärkeren Abbildungsfehler der Messgläser im Vergleich zu denen der Brillengläser stärker zum Tragen. Schaut der Kunde auch noch durch mehrere Messgläser gleichzeitig, wird dieser Effekt noch stärker. Ein realistisches Raumgefühl kann dadurch nicht aufkommen. Das betrifft allerdings alle Systeme, sowohl Messbrille als auch die Phoropter.

Komfort: So anpassbar Messbrillen auch sind, wirklich bequem sind sie nicht. Das ist nicht den Herstellern anzulasten, hier sind immer wieder deutliche Verbesserungen in den Modellen zu sehen oder besser zu spüren. Es liegt an der universellen Verwendbarkeit und den Funktionen, die von diesem Instrument verlangt werden.

Oculus hat einen Schritt in die richtige Richtung getan. Sie haben eine kleine Messbrille entwickelt, die nicht nur für Kinder geeignet ist, sondern auch für Menschen mit kleinen Köpfen oder/und kleiner PD. Leider ist diese Lösung nicht sehr weit verbreitet, wahrscheinlich aus Kostengründen.

Das hohe Gewicht der bestückten Messbrille auf eine kleine Nasenfläche führt aber dennoch zum leichten Rutschen und bei dünner und empfindlicher Haut auch zu unschönen Abdrücken auf der Nase. Das ist für die nachfolgende Fassungsauswahl und der genauen Betrachtung im Spiegel nicht gerade förderlich.

Der Glaswechsel in der Messbrille ist auch mit viel Übung des Refraktionisten und modernster Messbrille deutlich an der Nase zu spüren. Ist im Vergleich zur Messbrille ein Phoropter als „bequem“ zu bezeichnen? Er ist zumindest schneller angepasst und wird dann zumindest nicht als unbequem empfunden.

Wertevergleich: Ein Punkt der später als Kriterium der Refraktionssicherheit für den Refraktionisten genauer beschrieben wird, aber er ist auch für den Kunden zu erwähnen. Vor dem Kauf sehen, wie viel leistungsfähiger die Augen mit den neuen Werten sein werden, ist ein wichtiges Argument Geld auszugeben.

Geschwindigkeit (Glaswechsel): Ähnliche Seheindrücke lassen sich nur schwer merken, je schneller der Glaswechsel umso leichter der Vergleich der Seheindrücke und umso sicherer die Entscheidung. Der Kreuzzylinder des erfahrenen Refraktionisten mit der Messbrille ist sicher dem des Phoropters ebenbürtig. Das zielgenaue Vorhalten und Verschieben der Abgleichleiste benötigt schon deutlich mehr Übung. Beim Glaswechsel ist der Phoropter unschlagbar im Vorteil gegenüber der Messbrille.

Kriterien des Augenoptikers

Infektionsschutz: Im Moment natürlich ein sehr wichtiges Argument: Wir müssen uns selbst schützen. Da ist der automatische Phoropter klar im Vorteil, aber eine absolute Sicherheit gibt es auch hier nicht. Um das Gerät am Kunden auszurichten muss man doch kurz den Sicherheitsabstand verlassen. Die PD kann sicher vom Bedienpult aus eingestellt werden, wenn diese nicht bereits aus dem Autorefraktometer übergeben worden ist. Die Kontrolle der Zentrierung benötigt aber zumindest kurzzeitig mehr Nähe als wir uns wünschen. Bei den Alternativen, Messbrille und mechanischer Phoropter muss dagegen während des kompletten Messvorganges auf Armeslänge an den Kunden gearbeitet werden. Die 1,5 m Abstand oder sogar 2 m Abstand können systembedingt nicht eingehalten werden.

Preis: Ein nicht zu verachtendes Argument. Hier liegen allerdings zwei Aspekte verborgen. Eine Sichtweise: Günstiger ist besser. Andererseits ist Refraktion die Basis unseres Handwerks. Refraktionstools werden auch sehr lange genutzt, oft 10 Jahre und länger. Der Preis für das Refraktionsgerät pro Refraktion ist da oft nicht mehr von entscheidender Bedeutung und andere Aspekte treten mehr in den Vordergrund.

Mobiler Einsatz: Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser, Justizvollzugsanstalten möchten auch mit augenoptischer Dienstleistung versorgt werden. Ein Phoropter ist mobil praktisch nicht einsetzbar, die Paraderolle der Messbrille. Egal ob das Instrument Nachteile bietet – hier gibt es keine Wahl. Sind hier mehr Einsätze als „Ab und Zu“ erforderlich, lohnt sich ein Blick zu voll ausgestatteten Rollkoffern mit allem was der mobile AO für Refraktion, Brillenverkauf und Service benötigt – unabhängig von der Lösung im Laden.

Akzeptanztest: Starke Zylinder mit Achsänderungen, prismatische Korrektionen oder auch die Nahbereichsbrille für den besonderen (Arbeits-) Einsatz. Wie gut ist da ein abschließender Test, ob die Brille nachher wirklich vertragen wird und nicht „Nebenwirkungen“ die Leistung der Brille schmälern. Mit der Messbrille sind wir näher an der Wahrheit des Brillenträgers als mit dem Phoropter. Zwar sind Linsenform und -anzahl doch sehr unterschiedlich zur Brille, aber das ähnlichste was wir anbieten können.

Mimik: Ein Stirnrunzeln kann uns eine Irritation verraten, hinter einem Phoropter wird Dir diese Information verborgen bleiben. Der Refraktionist muss diesen Mangel wahrscheinlich durch eine zusätzliche Frage ausgleichen oder aus einer verzögerten Antwort schließen. Hier ist die Messbrille einfach besser.

Schulung: Die ersten Schritte einer Refraktion erlernen, im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, klarer Vorteil Messbrille. Deshalb greifen alle Schulen hier erstmal zur Messbrille. Sehr unterschiedlich ist dann der nächste Schritt. Werden den zukünftigen Refraktionisten auch die Bedienung eines manuellen und automatischen Phoropter beigebracht und auf die Situation in aktuellen Fachgeschäften vorbereitet?
Gewohnheit: Frisch aus der Meisterschule (bzw. Hochschule) ans Refraktionswerk. Neuer Laden, echte Kunden, da freut man sich an Gewohntem aus der Schule – der Messbrille. Das ist natürlich nur so, wenn die Schule einen nicht auch auf Refraktionen mit dem Phoropter geschult hat.

Reinigung/Desinfektion: Weder Messbrillen noch Phoropter überleben eine Ultraschallreinigung.

Auf der Seite des Kunden: Beim Phoropter können die Wangenanlagen zur Reinigung und Desinfektion abgenommen werden, die Stirnanlage hingegen meist leider nicht. Bei der Messbrille kann oft die Nasenauflage zur Reinigung entfernt werden. Der Rest kann nur gewischt werden. Das ist bei Phoropter etwas einfacher, da im Bereich des Kunden glatte Flächen zur Reinigung anstehen, bei der Messbrille sind doch viele Ecken, Kanten und Ritzen in den sich Schmutz und Keime verstecken können. Dazu kommt noch die Pflege der über 200 Messgläser.

Auf der Gerätevorderseite sind allerdings nur die automatischen Phoropter im Vorteil, die mechanischen haben auch viele Stellen, die nicht gut zur Reinigung und Desinfektion zu erreichen sind.

Datenverbund: Die Domäne des automatischen Phoropter, das kann nur er. Aber leider kann hier nicht jeder mit jedem, oft kommunizieren nur die Geräte aus gleichem Hause miteinander. Wenn aber der Datenverbund steht, sind per Knopfdruck die Daten des Scheitels und des Autorefraktometers im Phoropter geladen und bereit für den subjektiven Abgleich. In der Königsklasse des Datenverbunds können auch mit der Verwaltungssoftware die Daten ausgetauscht werden.

Handling: Übung (und eine gute Meisterschule) macht den Meister. Ein Lehrsatz der sicher richtig ist. Mit den Jahren bekommt man Routine beim Glaswechsel mit der Messbrille. Dennoch ist es sicher bequemer ein Glas bei einem Phoropter zu wechseln als der Wechseltrick bei der Messbrille, selbst wenn einem kein Gläschen aus der Hand und in den Intimbereich des Kunden fällt.

Ergonomie: Auch der Arbeitsplatz des Augenoptikers/Optometristen sollte möglichst gute Arbeitsbedingungen aufweisen. Man mag sich an vieles hier gewöhnen können, wer aber mal mehr als drei Refraktionen hintereinander gemacht hat, weiß die Vorteile eines automatschen Phoropters zu schätzen.

Geschwindigkeit (Refraktion): Ein Punkt der immer wieder als Vorteil für automatische Phoropter angeführt wird, den möchte ich allerdings relativieren. Die meiste Zeit spart man durch eine zuverlässige objektive Refraktion. Aktuelle Autorefraktometer sind so genau, dass dieser Wert lediglich einen Feinabgleich in Sphäre, Zylinder und der Achse benötigt und binokular ins Gleichgewicht gebracht werden muss. Für die wenigen Fragen, die dann noch benötigt werden, sollte der Kunde ausreichend Zeit haben die Frage zu verstehen und die Bilder zu beurteilen. Nimmt man sich nicht die Zeit für eine gute Fragestellung, dauert die Refraktion oft sogar länger, da eine falsche Antwort in die falsche Richtung leiteten kann.

In einem Punkt sind Phoropter etwas im Vorteil, durch den schnelleren Glaswechsel. Je schneller der Glaswechsel umso leichter der Vergleich der Seheindrücke. Diesen Punkt hatten wir auch als Vorteil für den Kunden aufgelistet.

Vorher/Nachher Vergleich: Bei der Abgabe der neuen Brille hast Du sicher auch schon folgendes beobachtet: Nach der fachgerechten Anpassung der Neuen wird nochmal die bisherige Brille aufgesetzt und damit verglichen. Sehe ich mit der neuen Brille für 500 € besser als bisher? Wenn nicht, kämen wir schnell in Erklärungsnot – nicht angenehm. Wir sind froh, dass dieser Fall sehr selten ist. Da wir in diesem Absatz die Kriterien des Refraktionisten betrachten – es ist ein beruhigendes Gefühl schon nach der Refraktion ein spontanes „das ist ja viel besser als meine bisherige Brille“ zu hören. Mit der Messbrille ist das so einfach nicht möglich, außer man hat nur eine sphärische Änderung. Mehrere Glaswechsel und ein bisschen Achsdrehung zwischen den beiden Seheidrücken sind nur schwer im Vergleich zu beurteilen.

Ein Prismenkompensator ist eine Anordnung aus zwei gleich starken plan-prismatischen Gläsern, die zueinander gedreht werden können. In der Null-Stellung sind sich die Prismenbasen gegenüber und die prismatischen Wirkungen heben sich auf. Werden die Gläser in entgegengesetzte Richtungen gedreht entsteht ein einstellbares Prisma mit Basis in der Winkelhalbierenden der Basislagen der beiden Prismen. Die Prismen können soweit gedreht werden, bis beide Basislagen in dieselbe Richtung zeigen. Dann hat das Prisma seine maximale Stärke erreicht, die Summe beider Einzelprismen.

Bleibt auch noch der vergleichende Wechsel von der Messbrille zur bisherigen Brille. Das ist zwar schneller als der Glaswechsel in der Messbrille, aber der Vergleich ist unfair. Der Kunde vergleicht bei dieser Variante zwischen einer gewohnten superentspiegelten Brille mit Gläsern in gut abbildender Meniskenform mit einer Messbrille mit 2-3 Glaspaaren hintereinander, Plan- oder Bikonkav/-konvex die vielleicht nicht mal entspiegelt sind. Ein Selbstversuch schafft hier Klarheit, ob der Vergleich wirklich den gewünschten Effekt hat.

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt als der Direktvergleich an einer Sehzeichentafel. Wie ist das Sehen mit den neuen Werten, wie fühlen sie sich beim Laufen an, wie bequem nach einigen Minuten Gewöhnung? Das kann man wiederum am besten mit der Messbrille probieren, der Kunde kann damit rumlaufen oder auch in die weite Ferne schauen. Das Sehen durch die Messgläser ist nicht das Gleiche, wie mit der später nach diesen Werten angefertigte Brille, aber es kommt dem, zumindest im zentralen Bereich, ziemlich nahe. Das ist nicht nur bei der Akzeptanzprüfung bei prismatischen Korrekturen, sondern auch bei nennenswerten Achs- oder Zylinderstärkenänderungen zur bisherigen Brille sinnvoll. Sind die neuen Werte in der Messbrille akzeptiert, ist die Chance sehr hoch, dass auch die Brille vertragen wird.

Kriterien der Messgenauigkeit

Ablesegenauigkeit Achse: Gradgenaue Ablesung bietet nur der automatische Phoropter, bei den meisten Messbrillen und manuellem Phoropter ist die Skala in 5° Schritten gestuft, neueste Messbrillen 2,5°. Das lässt genauere Werte nur durch Schätzen zu. Bei kleinen Zylinderstärken ist das tolerabel, aber je höher die Zylinderwerte sind umso wichtiger ist eine wirklich genaue Achslage.

Prismen: Einige Unterschiede sind hier zwischen den Phoroptern und der Messbrille hervorzuheben. Bei Messbrillen werden einzelne prismatische Messgläser eingesteckt, bei den Phoroptern sind Prismenkompensatoren eingebaut.

In den meisten Fällen ist eine Verteilung der prismatischen Wirkungen in der Brille sinnvoll. Das hat einerseits mit der Gewichtsverteilung und Ästhetik zu tun, andererseits auch mit einer Verteilung der Abbildungsfehler. Aus praktischen Gründen ist das Verteilen der prismatischen Werte in der Messbrille und im manuellen Phoropter nur selten möglich. Hier wird eine Seite für den horizontalen Anteil und die andere für den vertikalen Anteil genutzt. Sehr oft ist das benötigte horizontale Prisma sehr viel stärker als das vertikale, mit den entsprechenden Nachteilen in der Abbildungsqualität und hohem Visusverlust auf dieser Seite. Der automatische Phoropter ist hier im Vorteil. Er kann sofort das resultierende Prisma berechnen, verteilen und auch mit schrägen Basislagen im Prismenkompensator einstellen. Das schaffen wir manuell leider nicht, weder die Berechnung noch die gradgenaue Einstellung der schrägen Basisrichtung.

Einen Vorteil bei Prismen hat die Messbrille allerdings, sie kommt (einen entsprechend fein gestuften Prismen-Messglaskasten vorausgesetzt) mit nur einem prismatischen Glas pro Seite aus, die Prismenkompensatoren bestehen immer aus zwei Gläsern und damit vier Flächen an denen Reflexionen stattfinden können. Es ist hier besonders auf eine gute Entspiegelung sowohl beim Phoropter als auch bei Messbrillengläsern zu achten.

1/8 dpt: Moderne Gleitsichtgläser haben immer höhere Ansprüche an die Refraktionsgenauigkeit. Oft ist den Herstellern die Viertelstufung schon zu grob, sie wünschen sich eine Achtelstufung. Bei der hohen Genauigkeit darf der Raumentfernungsfehler bei keiner Refraktion vernachlässigt werden: In diesem Artikel soll auf die Korrektur von diesem nicht näher eingegangen werden.

Alle drei Instrumente im Vergleich verfügen über die Möglichkeit der 1/8 Dioptrie. In fast allen Messglaskästen sind entsprechende Gläser vorhanden.

Die automatischen Phoropter können per Knopfdruck auf die entsprechende Schrittweite eingestellt werden.

Bei manuellen Phoropter ist die 1/8 nicht direkt zu erreichen, aber viele Modelle haben ein entsprechendes Glas im Stellrad für die Sondergläser eingebaut:

Abbildung 1 Achteldioptrie bei einem mechanischen Phoropter

Bei diesem Phoroptermodell ist das Glas etwas ungünstig positioniert, da über mehrere Sondergläser die Achtel erst erreichbar ist und somit ein Spontanvergleich erschwert wird.

Konvergenz Nähe: Es stellt sich die Frage, warum dieser Punkt betrachtet werden sollte, die Brille hat letztendlich auch keine Konvergenzeinstellung. Bei der Messbrille ist aber die optische Situation anders als bei der Brille. Ein Aspekt ist die unterschiedliche Linsenform (Bi- oder Plankonvex bei Plusgläsern statt Meniskenform) und somit verursacht ein Schrägeinblick stärkere Abbildungsfehler bei der Refraktion als bei der Brille. Ein weiterer ist, dass der Kunde schräg durch mehrere Linsen schaut und somit für maximal eine Linse die PD korrekt eingestellt werden kann.

Beim Phoropter würde die Problematik sogar noch größer sein, da die Linsen oft noch weiter voneinander entfernt sind. Wahrscheinlich haben aus diesem Grund alle Phoropter für die Nähe eine Konvergenzeinstellung.

HSA Korrektion: Wir haben alle gelernt, dass die stärkste Linse in die erste hintere Position der Messbrille gesteckt werden muss, denn nur für diese Position ist die HSA-Skala der Messbrille gültig. Theoretisch müssen wir für jedes andere Glas jeden Hauptschnitt auf diesen HSA umrechnen. Manche Glashersteller bieten das sogar als Service an. Gerade wenn man wirklich genau arbeiten möchte, vielleicht auch auf Achteldioptrie, sollte man hier sorgfältig Umrechnen.

Die Phoropter, sowohl manuelle als auch automatische nehmen uns die Arbeit ab, die eingebauten Linsen sind bereits auf den Nenn-HSA des Phoropters eingestellt. Eine Umrechnung aufgrund der Linsenposition muss nicht vorgenommen werden. Sollte allerdings der Nenn-HSA des Phoropters vom HSA der Korrektion abweichen, muss auch hier gerechnet werden, oder eine HSA-Tabelle zu Rate gezogen werden.

Wir haben bei den Vorteilen, die besonders für den Kunden wichtig sind, die natürliche Kopf- und Körperhaltung als der Messbrille festgestellt.. Gehen wir nun auf die optischen Aspekte dieser Flexibilität ein, insbesondere die Faktoren die die Genauigkeit beeinflussen können.

Trennung mit linearer Polarisation: Wer mit modernen Sehzeichensystemen arbeitet, die mit zirkularer Polarisation trennen, haben mit keinem Refraktionstool Nachteile zu befürchten. Egal wie schräg der Kunde den Kopf auch hält, die Trennung ist immer ausreichend. Anders bei linearer Polarisation: Ist die Messbrille nicht genau waagerecht, ist die Trennung nicht mehr perfekt. Bereits wenige Grad können hier entscheidend sein.

Astigmatismus schiefer Bündel (ASB): Wie schon öfter in diesem Artikel erwähnt, haben Messgläser für die Messbrille und auch die Messgläser im Phoropter eine andere Linsenform als Brillengläser. Es werden die Form Bikonvex bzw. -konkav und Plankonkav bzw. -konvex verwendet. Das hat zwei Gründe. Erstens sind die Gläser dadurch dünner und die Steckplätze der Messbrille können alle bestückt werden ohne dass einer zwischendrin frei gelassen werden muss. Zweitens liegt eine Konvexfläche nicht so in der Konkavfläche des davorliegenden Glases, dass dieses bei Wechsel des Hinteren unweigerlich das vordere Glas mit herausziehen würde. Der Versuch eines italienischen Herstellers einen solchen Messglaskasten am Markt zu etablieren scheiterte aus diesem Grund weitestgehend, obwohl optische Aspekte klar für die Meniskenform sprechen würden.

Ist die genaue Zentrierung der Messgläser während der kompletten Refraktion erfüllt, brauchen wir uns um den Astigmatismus schiefer Bündel nicht zu kümmern. Erst bei einem schrägen Blick durch die Messgläser erzeugen wir einen Astigmatismus als Abbildungsfehler der Messgläser im Phoropter als auch in der Messbrille. Der Fehler ist größer, je stärker die Messgläser sind und je schräger der Blick dadurch. Diesen Effekt kennen wir auch bei Sportbrillen, durch den schrägen Blick durch die Gläser müssen die Werte umgerechnet werden, damit der Kunde durch diese auch gut sehen kann. Die korrekte Zentrierung ist beim Phoropter durch seine feste Position deutlich leichter zu halten als bei einer Messbrille. Diese kann während der Refraktion rutschen und muss korrigiert werden. Unterbleibt dies, wird die Refraktion nicht die gewünschten Werte bringen.

Es kommt aber auch vor, dass der Kunde diesen Abbildungsfehler bewusst zur Korrektur seiner Restfehlsichtigkeit während der Refraktion nutzt. Er sucht sich die Stelle im Messglas aus, durch die er am besten sehen kann. Das muss nicht die optische Mitte sein. Der Schrägblick während der Astigmatismusmessung führt also dann zwangsläufig zu Messfehlern. Wir refraktionieren den astigmatischen Abbildungsfehler einfach weg. Der Kunde würde bei geradem Blick und anschließend in seiner Brille allerdings eine andere Korrektur brauchen. Das kann besonders bei Gleitsichtgläsern zu Einschränkungen im Lesebereich führen. Die Nahzone wird in solchen Fällen als besonders schmal empfunden.

Vestibulookulärer Reflex (VOR): Das ist eine bei uns Augenoptikern überraschenderweise nicht sehr bekannte Ausgleichsbewegung unserer Augen, die direkten Einfluss auf die Zylinderachse hat. Es ist ein Hirnstammreflex und sorgt für eine stabile Augenausrichtung bei Kopfbewegungen. So ist es zum Beispiel nicht möglich kontinuierlich die Augen nach rechts oder links zu bewegen. Wenn wir aber ein Objekt anschauen und den Kopf nach rechts und links drehen, bleibt der Blick stabil beim Objekt. Der VOR hält die Augen weitgehend in allen Richtungen der Kopfbewegung stabil. Auch bei einer Kopfneigung nach rechts oder links (Ohr in Richtung Schulter) werden die Augen stabil senkrecht gehalten, sie kippen nicht mit dem Kopf mit.

Abbildung 2 Neigung des Kopfes um +/- 10° - Augen bleiben lotrecht


Wenn die Messbrille mit dem Kopf geneigt wird, aber die Augen senkrecht bleiben, stimmt die eingesetzte Zylinderachse nicht mehr unbedingt mit der benötigten Zylinderachse überein. Die Kopfneigeposition ist also entscheidend für die Zylinderachse.

Abbildung 3 Unterschiedliche Kopfseitenneigung führt zu einer anderen Zylinderachse (hier +/- 8°)


Eine dynamische Kopfhaltung kann mindestens zur Verwirrung bei der Refraktion der Zylinderachse führen, da bei jeder Änderung der Kopfseitenneigung die Achse in der Messbrille angepasst werden muss.

Beim Phoropter kann dieser Effekt nicht komplett ausgeschlossen werden, allerdings neigen wir dazu, die Gesichtsfelder beider Augen in Deckung zu bringen, welches die Kopfposition stabilisiert. Das ist immer der Fall, wenn ein Kunde binokular durch den Phoropter sieht, wie bei einer 3D Refraktion. Hier werden die Zylinderachsen ohne Abdeckscheibe bestimmt. Beide Augen nehmen gleichzeitig am Sehvorgang teil, wie das auch bei der Brille der Fall sein wird.
Sonderfall: Der zur Schulter geneigter Schiefhals (Laterocollis). Da fällt einem sofort der bekannte Journalist und Nachrichtensprecher Claus Kleber ein.

In diesem Sonderfall muss die Messbrille und auch der Phoropter so geneigt werden, wie anschließend auch die Brille sitzen wird. Bei linearer Polarisation ist in diesem Fall die Trennung nicht mehr vollständig, aber das muss in solchen Fällen als „kleineres Übel“ hingenommen werden. Systembedingt ist das ein Vorteil für die zirkulare Polarisation. Vorab zu klären ist jedoch, ob diese Haltung für diesen Menschen wirklich normal ist oder eine Zwangshaltung, um z.B. Doppelbilder zu kompensieren. Das kann durch eine unkorrigierte Höhenphorie oder eine Lähmung eines Augenmuskels bedingt sein (Torticollis ocularis). Hier schafft eine ausführliche Anamnese, eine Bestimmung des Binokularstatus und eventuell eine Abklärung durch einen (Augen-) Arzt Klarheit.

Fazit

Wenn man sich die vielen Kriterien anschaut, die für die jeweiligen Refraktionstools sprechen, gibt es für jede Disziplin klare Gewinner aber keinen generellen Sieger. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb diese Frage so leidenschaftlich diskutiert wird. Dieser Artikel soll möglichst viele Aspekte aufzeigen, die eine fundierte, persönliche Bewertung ermöglichen. Damit man sich eben nicht nur auf das „Bauchgefühl“ verlassen muss. Sollten Dir weitere Argumente einfallen, trage sie einfach zusätzlich in Deine Bewertungsmatrix ein und beobachte was passiert. Ist ein Kriterium für Dich nicht wichtig, gib ihm die Priorität Null und das Argument wird nicht bewertet. Spannend kann auch eine Betrachtung nur der Argumente sein, die für Deine Kunden wichtig sein werden oder nur Kriterien die einen Einfluss auf die Genauigkeit der Refraktion haben. Ich hoffe, dass wir die Augenoptik auch weiterhin voller Emotionen leben. Wir haben schließlich den schönsten Beruf der Welt, aber sollten bei der Wahl der Werkzeuge erstmal nüchtern alle Argumente abwägen bevor wir uns entscheiden.

Persönliches Fazit

Für mich wiegen die Vorteile des automatischen Phoropters mehr als die der Messbrille bei der Refraktion. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen ohne Messbrille auszukommen, auch wenn ich keine Hausbesuche mache. Auch einen Fernabgleich kann ich mir sparen, da Refinity® die Refraktion ins Unendliche bringt. Aber eine starke zylindrische Änderung oder eine Änderung im Prisma mache ich nie ohne Akzeptanztest mit der Messbrille. Ich habe aber zwei Vorteile. Erstens an der Quelle zu sein und zweitens einen Arbeitgeber zu haben, der mir jedes nötige Werkzeug zur Verfügung stellt, dass ich für meine Arbeit benötige.